Physiknobelpreis 1915: William Henry Bragg — William Lawrence Bragg

Physiknobelpreis 1915: William Henry Bragg — William Lawrence Bragg
Physiknobelpreis 1915: William Henry Bragg — William Lawrence Bragg
 
Die britischen Physiker erhielten den Nobelpreis für »ihre Verdienste um die Erforschung der Kristallstrukturen mittels Röntgenstrahlen«.
 
 Biografien
 
Sir (seit 1920) William Henry Bragg, * Westward (Cumbria, England) 2. 7. 1862, ✝ London 12. 3. 1942; 1885 Professor der Mathematik und Physik an der Adelaide University (Australien), 1909 Cavendish Professor der Physik an der University of Leeds, 1915 Quain Professor der Physik am University College (London), 1923-42 Direktor der Royal Institution (London).
 
Sir (seit 1941) William Lawrence Bragg, * Adelaide (Australien) 31. 3. 1890, ✝ Ipswich (Suffolk, England) 1. 7. 1971; 1909-12 Physikstudium am Trinity College, 1919 Professor der Physik an der Victoria University (Manchester), 1937 Direktor des National Physical Laboratory, gleichzeitig Cavendish Professor der Physik in Cambridge, 1954-65 Direktor der Royal Institution (London).
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Der Physiknobelpreis von 1915 ist in mancher Hinsicht einzigartig — einmal durch die gemeinsame Würdigung von Vater und Sohn, auch dadurch, dass der Sohn der jüngste Physiknobelpreisträger geblieben ist und vor allem dass er lebenslang mit seinen Strukturuntersuchungen die Chemie, Mineralogie, Metallurgie und die Biologie bereichert und epochal verändert hat. Die rasche Anerkennung der Bragg'schen Leistungen nach den ersten Veröffentlichungen 1912 und 1913 spiegelt ihre umwälzende Bedeutung für die Erschließung atomarer Dimensionen wider.
 
William Henry Bragg hatte auf Empfehlung von Joseph John Thomson (Nobelpreis 1906) eine Professur an der Universität von Adelaide in Australien erhalten, sich aber erst im Alter von 42 Jahren der Untersuchung der Radioaktivität zugewandt, durch die er international bekannt wurde. Schließlich folgte er einem Ruf an die Universität Leeds. In England trat sein Sohn in das Trinity College ein, und dort entfaltete sich die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Vater.
 
 Deutung der Laue-Aufnahmen
 
1895 entdeckte Wilhelm Konrad Röntgen (Nobelpreis 1901) die Röntgenstrahlen. 1912 fand Max von Laue (Nobelpreis 1914) in zahlreichen Experimenten heraus, dass die neuen Strahlen aus Wellen bestehen und nicht aus Teilchen. Das Beugungsbild der Röntgenstrahlen an Zinksulfid wurde als Beeinflussung und Überlagerung (Interferenzen) kurzwelliger Strahlen erkannt und auf die regelmäßige Anordnung der Atome im Kristall zurückgeführt. Laues Beschreibung knüpfte an die aus der Optik bekannte Gleichung für Lichtbeugung am Strichgitter an, und er erweiterte sie auf ein dreidimensionales Gitter, entsprechend der Vorstellung vom atomaren Aufbau. Dieser theoretische Ansatz war zur Erschließung komplizierter Strukturen jedoch weniger geeignet, und wir verdanken es dem Genius der beiden Braggs, dass ein anderer Weg beschritten wurde.
 
William Lawrence Bragg hat 1912 in einer einzigen Arbeit die wesentlichen Schritte zur Strukturanalyse aufgezeigt. Zum einen hat er nachgewiesen, dass die Strahlung im Laue'schen Experiment von einem kontinuierlichen Spektrum herrührt und dass der Kristall nur die schließlich zur Beugung gelangenden Strahlen auswählt. Der eigentliche Durchbruch zur vereinfachten Analyse folgte aus der Erkenntnis, dass die Beugung am Kristallgitter als Spiegelung an den so genannten Gitterebenen umgedeutet werden darf. Ein dreidimensionales Gitter wird von vielen Systemen paralleler Ebenen durchzogen, auf denen die Gitterpunkte liegen, sie sind durch einen konstanten Abstand von ihren Nachbarebenen getrennt. Die Bedingung für die Laue'schen Interferenzen vereinfacht sich dann zu der berühmten Bragg-Gleichung für die Spiegelreflexe, die daher William Lawrence Bragg zuzuschreiben ist. Sie ist bereits 1913 in der heute bekannten Form »n mal lambda = 2 d mal sinus theta halbe« angegeben worden. Dabei ist »theta« der so genannte Glanzwinkel für die Reflexion, »d« der Abstand zwischen einem Paar aufeinander folgender Ebenen, »Lambda« die Wellenlänge und »n« eine ganze Zahl 1, 2, 3. ..
 
William Lawrence Bragg entnahm aus der Wissenschaft der Kristallographie der Mineralogen Begriffe wie das Raumgitter nach dem französischen Physiker und Mineralogen Auguste Bravais. Mithilfe des Gesetzes der rationalen Indizes des britischen Mineralogen William Hallowes Miller hat er die Gitterebenen mit ganzzahligen Kennziffern auf den Kristallachsen bezeichnet. Diese Verwendung der Miller'schen Indizes ist bis heute bei der Beugung von Röntgen-, Elektronen- und Neutronenstrahlen an kristallinen Substanzen üblich.
 
 
Der Gedanke der Spiegelung der Röntgenstrahlen an Gitterebenen fand seine Bestätigung in der starken Reflexion an der Spaltfläche einer Glimmerscheibe. William Henry Bragg baute das Instrument, das den wesentlichen Fortschritt gegenüber der Laue'schen Methode brachte und als Vorläufer vieler daraus entwickelter Geräte dienen sollte. Vorbild war das aus der Mineralogie bekannte opti-
 
sche Goniometer zur Bestimmung der Winkel zwischen Kristallflächen. Beim Röntgenspektrometer wurde der am Kristall reflektierte Strahlin eine Ionisationskammer gelenkt, und damit konnte der Apparat zwei Messungen liefern: den Bragg'schen Reflexionswinkel und die Stärke des reflektierten Strahls. William Henry Bragg entdeckte, dass dem kontinuierlichen Röntgenspektrum (Bremsstrahlung, entstanden durch Bremsung der Elektronen an der Anode) scharfe Spektrallinien überlagert sind, die für die Atome der Anode charakteristisch sind. Damit erzeugt die Anode (oder so genannte Antikathode) Atomspektren definierter Wellenlängen, deren Berechnung erstmals den Braggs gelungen ist.
 
 Moseley'sches Gesetz
 
Die Beobachtung der Atomspektren wurde sofort aufgegriffen durch den britischen Physiker Henry Gwyn-Jeffries Moseley, der die Spektralserien so genau festlegte, dass er eine einfache Beziehung zwischen den Röntgenfrequenzen und dem Quadrat der Atomzahl herleiten konnte. Er konnte die Ordnungszahlen der chemischen Elemente festschreiben und sieben Lücken im Periodischen System der Elemente nachweisen, darunter das bis dahin nicht bekannte Element Technetium. Er schloss auf 92 Elemente im Periodensystem (bis einschließlich Uran). Das öffnete den Weg für Karl Manne Georg Siegbahns (Nobelpreis für Physik 1924) Röntgenspektralanalyse. Moseley war durch Svante August Arrhenius (Nobelpreis für Chemie 1903) für den Nobelpreis 1915 in Chemie vorgeschlagen worden, was auch positiv aufgenommen wurde, doch war man der Ansicht, die Preisverleihung könne warten. Aber Moseley fiel im Ersten Weltkrieg.
 
Die Arbeiten von William Lawrence Bragg sind durch den Kriegsdienst bei der Artillerie unterbrochen worden. Nach Kriegsende hatte er Erfolge bei der Klärung der Atomanordnung fester Stoffe, darunter Mineralien, Metalllegierungen, organische Verbindungen und schließlich biologische Strukturen wie Proteine. Diese Entwicklung gipfelte 1953 mit der Bestimmung der Struktur der Desoxyribonucleinsäure (DNS) durch Francis Harry Crick und James Dewey Watson (Nobelpreis für Medizin 1962). Die Bragg'sche Methode führte also in nur vier kurzen Jahrzehnten vom Aufbau der leblosen anorganischen Materie zur Erschließung der Geheimnisse der lebenden Zelle.
 
H. Stadelmaier

Universal-Lexikon. 2012.

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